Verbuntung statt Gleichmacherei
Georg Plank

Verbuntung statt Gleichmacherei

„Denn wie wir an dem einen Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, als Einzelne aber sind wir Glieder, die zueinander gehören.“ (Römer 12,4-5)

Wie schon betont, thematisiert Paulus in seinen Briefen intensiv den systemischen Zusammenhang zwischen Leib und Gliedern. Neben dem Zitat aus dem Römerbrief wird vor allem das 12. Kapitel des 1. Korintherbriefs oft verwendet, um Gemeinden und kirchlichen Organisationen die Bedeutung von „Einheit in Vielfalt“ zu verdeutlichen. Offensichtlich ist das Thema so alt wie die Kirche selbst.

So gab es in der jungen griechischen Gemeinde der Hafenstadt Korinth bereits massive Spaltungstendenzen bzw. „Silos“, die sich auf Paulus, Apollos, Petrus (Kephas) oder Christus beriefen und darüber in Zank und Streit gerieten. In Galatien scheinen noch schwerere Konflikte die Gemeinde vor Zerreißproben gestellt zu haben. Statt der bei Paulusbriefen am Beginn üblichen Dank- und Liebesbezeugungen kommt der offensichtlich in Rage geratene Paulus im Galaterbrief daher gleich zur Sache. Es gab offensichtlich fundamentale Meinungsverschiedenheiten über „die Wahrheit des Evangeliums“.

Dabei ging es schlicht und einfach um die Frage, ob alle, die sich zu Christus bekennen, gleich viel wert und Glieder eines Leibes sind oder ob Unterschiede zwischen Juden- und Heidenchristen legitim geltend gemacht werden dürfen. Emotional erschüttert, entwickelt Paulus im Galaterbrief eine vernünftige, ja schlüssige Argumentation, die im berühmten Diktum mündet: „Denn alle seid ihr durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ (Galater 3,26-28)

Diese Schlussfolgerung hat revolutionäre Auswirkungen, damals wie heute – sowohl für die über die Geschichte in hunderten Einzeldenominationen aufgefächerte „eine, heilige, katholische (weltweiten) und apostolische“ Kirche Jesu Christi als auch für die gesamte Menschheit mit ihren vielfältigen Kulturen, Denk- und Lebensweisen, Wertesystemen und Traditionen.

Angesichts wachsender humanwissenschaftlicher Erkenntnisse über den Menschen als Individuum und als Sozialwesen bietet die paulinische Sicht einer „Einheit aller in Christus“ die theologische Basis, um alle nach wie vor bestehenden Differenzierungen und Diskriminierungen zu überdenken und ggf. zu verändern. Das Wissen, dass zum Beispiel geschlechtliche Identitäten weitaus vielfältiger sind als lange Zeit angenommen oder behauptet, sollte einer jahrhundertelangen diskriminierenden, entwürdigenden und oft tödlichen Praxis endgültig jegliche Legitimation entziehen.

Bedeutet das eine negative Gleichmacherei? Würden Kirchen damit dem „Terror des Gleichen“ nachgeben, den Byung-Chul Han in seinem Buch „Die Austreibung des Anderen“ anklagend als Folge der aktuell dominanten Globalisierung beschreibt? „Der Globalisierung wohnt eine Gewalt inne, die alles austauschbar, vergleichbar und dadurch gleich macht … die Gewalt des Globalen als Gewalt des Gleichen vernichtet die Negativität des Anderen, des Singulären, des Unvergleichbaren …“ konstatiert der koreanische Philosoph auf S. 19.

Ich zitiere ihn deshalb, weil seine schonungslose Analyse die Tür öffnet für ein völlig gegenteiliges Verständnis: Eines, das auf Einzigartigkeit und Unterschiedlichkeit aufbaut. Verbuntung nennt das Paul Michael Zulehner.

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