161 Da blieb der Stern stehen
Georg Plank

Da blieb der Stern stehen

Im Weihnachtsevangelium von Matthäus kommen die Sterndeuter deshalb an das Ziel ihres Suchens, weil der Stern über dem Stall von Bethlehem „stehenblieb“, wie es heißt.

Wir wissen aber aus der Astronomie, dass kein Himmelskörper jemals stehen bleiben kann. Alles, was bisher in den unendlichen Weiten des Alls bekannt ist, bewegt sich seit dem Ursprung vor über 13 Milliarden Jahren in unvorstellbarer Geschwindigkeit in und durch Raum und Zeit.

So bewegt sich zum Beispiel die Erde und mit ihr wir alle mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 107.000 km/h um die Sonne, das entspricht etwa 2,6 Millionen Kilometer pro Tag. Und mit unserer Sonne bewegen wir uns um die Milchstraße, zusammen mit Hunderten von Milliarden Sterne mit etwa 720.000 bis 900.000 km/h. Nichts steht still. Auch unser lokaler Galaxienhaufen bewegt mit etwa 2,1 Millionen km/h in Richtung des Virgo-Haufens. Und die riesige Gruppe von Galaxien bewegt sich über den großen galaktischen Kontinent, zu dem wir gehören: Laniakea.

Was könnte nun der biblische Bericht mit dem „Stehenbleiben“ eines Sterns meinen? Diese Ungeheuerlichkeit signalisiert einen Bruch mit allen bisherigen Ordnungen, eine fundamentale Transformation aller bekannten philosophischen und religiösen Systeme.

Mit dem kleinen Jesus-Baby bricht tatsächlich eine unerhörte Zeitenwende an, die einmalig und unüberbietbar das Kommen Gottes in die Welt für jede:n erfahrbar macht. Hier begann eine völlig neue „Bewegung“, der wir heute zu Weihnachten gedenken, weil sie auch uns in eine völlig neue Bewegung bringen kann!

Bei Markus 10,46 lesen wir von einer vergleichbaren Begebenheit. Bei der Heilung des blinden Bartimäus sind zunächst alle in Bewegung – außer dem Bettler. Die dramatische Wende nimmt ihren Lauf, als Jesus stehen bleibt. Wie der Stern. Diese „Unterbrechung“ ermöglicht dem bisher reglos Sitzenden eine neue Dynamik. Er springt auf!

Doch nicht nur im Makrokosmos, sondern auch Mikrokosmos von Biologie und Elementarphysik gibt es erstaunliche Inspirationen zur bewegenden Weihnachtsbotschaft.

Lassen Sie sich in die unvorstellbar selbstorganisierte und verbundene Welt einer einzelnen Zelle hineinnehmen, wie sie Fabian Scheidler in „Der Stoff, aus dem wir sind“ beschreibt:

Könnten wir uns so klein machen, dass wir eine Zelle tatsächlich von innen beobachten und jedes einzelne Molekül sehen könnten, wären wir Zeugen eines Prozesses, der uns extrem verwirrend erscheinen würde. Nicht weniger als zehn Billionen (zehntausend Milliarden) Moleküle, viele von ihnen Riesenmoleküle, die ihrerseits aus Tausenden von Atomen bestehen, rasen kreuz und quer durch den Raum. Diese Moleküle würden uns keineswegs als leblose chemische „Bausteine“ erscheinen, sondern als höchst lebendige Akteure, die aus rätselhaftem Antrieb auf unbekannte Ziele zuschnellen. Der Raum wäre ringsum erfüllt von einem Feuerwerk von Reaktionen: Wo bestimmte Moleküle zusammenstoßen, verändern sie, wie magische Fabelwesen, blitzartig ihre Gestalt oder bringen neue Formen hervor. Aus herumschwimmenden Elementen würden sich vor uns, wie von Geisterhand bewegt, quer durch den Raum ragende Trägerstrukturen aufbauen (die Filamente des „Cytoskeletts“), den Gitterstrukturen von Hochhäusern ähnlich, die im nächsten Moment wieder zerfallen und sich neu zusammensetzen. Währenddessen könnte uns plötzlich aus der Tiefe des Raums ein großes rundes Etwas entgegenkommen, ein „Vesikel“, das sich mit zwei fußähnlichen Gebilden an einem dieser vergänglichen Träger entlanghangelt. Wenn wir uns tiefer in die Zelle hineinbewegten, würden wir weiteren höchst seltsamen Wesen begegnen, die sich wie Wale oder organische Raumschiffe durch die Zelle bewegen, darunter die einst verschluckten und nun zu Mitochondrien oder Chloroplasten gewordenen Bakterien. Oder wir würden in das Innere eines riesigen wabernden Schlosses mit einer verwirrenden Zahl von Zimmern gelangen (das „endoplasmatische Retikulum“), das ständig seine Form verändert, sich teilweise auflöst und neu zusammensetzt, während sich aus seinen Wänden immer wieder neue Formen ablösen und durch den Raum schweben.

… Was wir hier vor Augen haben, funktioniert tatsächlich ohne „Chef“; selbst die DNA ist, wie wir später noch sehen werden, keineswegs eine Kommandozentrale der Zelle, sondern Teil dieses selbstregulierenden Prozesses. Dass zehn Billionen Einheiten ohne einen dirigierenden Mastermind alle „wissen, was zu tun ist“, und auf sinnvolle Weise miteinander interagieren, ist ein schwindelerregender Grad von Selbstorganisation.

Die Komplexität einer Zelle sprengt nicht nur unsere Vorstellungskraft, sondern auch alle denkbaren maschinellen Rechenleistungen um viele Größenordnungen. Der Biologe Denis

Noble hat errechnet, dass man, um mit Computern die molekularen Vorgänge zu simulieren, die sich auch nur in einer einzigen Zelle abspielen, 1027 Superrechner benötigen würde. Um diese Maschinen herzustellen, bräuchte man mehr Materie, als das gesamte Sonnensystem bieten kann. Und ein Mensch wiederum besteht aus 30 Billionen solcher Zellen, von denen jede einzelne unser Fassungsvermögen weit übersteigt.

Diese Komplexität steigert sich nochmals um viele Größenordnungen, wenn wir von der Ebene der Moleküle und Atome auf die Quantenebene wechseln, wo sich die scheinbar

festen Bausteine des Lebens als ein pulsierendes Netzwerk von Energiefeldern zeigen, in denen alles im Universum im Prinzip miteinander verbunden ist. Spätestens hier versagt jede bildliche Vorstellungskraft, und das Wort „Wunder“ erscheint als hoffnungslos unzureichend, um diese organisierte Unermesslichkeit zu beschreiben. Angesichts der Realität auch nur einer einzigen lebenden Zelle erscheint es unverständlich, warum man auf „übernatürliche“ Phänomene angewiesen sein sollte, um einen Sinn für Erhabenheit zu gewinnen, oder warum irgendjemand behaupten kann, wissenschaftliche Erkenntnisse als solche würden die Natur ihrer Geheimnisse berauben. Das Gegenteil ist wahr: Mit jeder Entdeckung wird die Welt interessanter und geheimnisvoller. Und je weiter die Forschung die kleinsten Strukturen, sowohl der Zellen als auch der Atome, erkundet, desto weniger scheint diese Welt tot, sondern immer lebendiger.


Alle Fotos der aktuellen Blogserie stammen vom bisher leistungsstärksten Weltraumteleskop, dem James Webb Teleskop. Es startete am 25. Dezember 2021 und erreichte zum 24. Januar 2022 eine Umlaufbahn um den etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernten Lagrange-Punkt. Mehr unter https://www.youtube.com/watch?v=nS0HZdPshmg

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