Pastoses Ölgemälde eines Harlekins oder Clowns in bunten Farben, der einen blau-türkisfarbenen Ziegenbock vor dunklem Hintergrund umarmt
Georg Plank

Sichtbare Vielfalt als Qualitätsmerkmal

Stellen Sie sich vor: Menschen aller Altersgruppen, mit unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen und Bedürfnissen können sich sicher und selbstbestimmt im öffentlichen Raum bewegen. Sie sind nicht mehr auf das individuelle moralische Wohlverhaltens einzelner angewiesen, sondern können sich weitgehend darauf verlassen, dass nicht das Recht des Stärkeren regiert, sondern ein System, das Rücksichtnahme, Akzeptanz und Wertschätzung konsequent strukturell unterstützt.

Was mich in den Niederlanden besonders beeindruckte: In den Städten und Gemeinden sind Menschen sichtbar, die bei uns oft unsichtbar bleiben, weil sie sich nicht sicher oder unbehindert bewegen können. Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen oder Einschränkungen, ältere Menschen mit Geh- oder Fahrhilfen, Familien mit kleinen Kindern – sie alle sind selbstverständlicher Teil des öffentlichen Lebens. Sie sind damit sichtbar und werden als unverzichtbarer Teil der Gesellschaft respektiert und integriert.

Eine autogerechte Stadt kann das nicht leisten. Nicht nur, dass Autos zu viel öffentlichen Raum in Beschlag nahmen und dabei eine gesunde Umwelt durch Abgase und Lärm belasten. Sie werden oft auch zur tödlichen Gefahr für alle anderen, schwächeren Verkehrsteilnehmer:innen. Anfang der 1970er Jahre war die blutigste Zeit auf den niederländischen und übrigens auch auf den österreichischen und deutschen Straßen. Die Zahl der Toten im Straßenverkehr sorgte für Entsetzen: mehr als 3.200 Tote, davon rund 400 Kinder. In Österreich waren es in diesem Katastrophenjahr fast 3.000 Tote, und das bei nur einem Drittel des heutigen Fahrzeugbestandes, in Deutschland (ohne die östlichen Bundesländer) fast 20.000!

Immer weniger Menschen waren in den Niederlanden bereit, für die vermeintliche „Freiheit“ des Autofahrens einen derart hohen Blutzoll zu entrichten. Im ganzen Land formierte sich Widerstand. Die bekannteste Gruppe unter vielen war „Stop de Kindermoord“, was so viel bedeutet wie „Stoppt den Kindermord“. Ziel der Aktivist:innen war es, die Verkehrspolitik des Landes von Grund auf zu verändern. Autos sollten nicht mehr länger an der Spitze der Mobilitätspyramide stehen. Fußgänger:innen und Radfahrer:innen seien wichtiger und schützenswerter, ergo zu bevorzugen, so die damaligen Forderungen. Das aus österreichischer oder deutscher Perspektive Verblüffende: Die Politik zeigte sich den zivilrechtlichen Bewegungen gegenüber sehr offen und ging darauf ein. Das Ergebnis ist die Folge langer, oft auch kontroversieller und konsequenter Prozesse, die aber letztlich viele der anfänglichen Zweifler:innen und Gegner:innen überzeugte. Das Leben wurde für alle lebenswerter!

Von der Mobilität zur Pastoral: Ein inspirierender Transfer

Was würde passieren, wenn wir dieses Mindset auf kirchlichen Gemeinschaften übertragen würden? Wenn wir nicht mehr primär an unsere „Kernmitglieder“ denken, sondern Strukturen schaffen, die allen Menschen unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Bildungsgrad ermöglichen, sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen? Wertschätzung, Sicherheit und Akzeptanz zu erfahren? Die eigenen Ideen und Fähigkeiten einbringen zu können?

Eine Kirche nach niederländischem Mobilitätsvorbild würde wohl:

  • Hilfreiche Strukturen schaffen statt durch Appelle missionieren: Das heißt konkret, sich nicht auf das Wohlverhalten Einzelner zu verlassen, sondern passende Rahmenbedingungen für ein respektvolles Miteinander etablieren
  • Inklusion durch Design verwirklichen: Alle Zugänge, ob physisch oder digital, so gestalten, dass niemand ausgeschlossen wird und möglichst viele sich aktiv einbringen wollen und können
  • Unterschiedliche „Mobilitätsformen“ wertschätzen: Das bedeutet, unterschiedliche Wege des Glaubens, spirituelle Stile und Formen des Engagements als Bereicherung zu sehen und aufzuhören, durch destruktive Vergleiche andere auszugrenzen und geringzuschätzen
  • Die Schwächeren schützen: Egal, was unter kirchlicher Trägerschaft geschieht, sollten alle Verantwortlichen besonders aufmerksam sein für die Bedürfnisse derer, die in der Regel leicht übersehen werden und die weniger Einflussmöglichkeiten haben
  • Räume gerecht verteilen: Ob es physische Räume, finanzielle Ressourcen oder Beteiligungsmöglichkeiten sind, nicht die Lautesten, Stärksten oder Schnellsten sollen bestimmen, was wichtig ist.

Ich frage mich, ob wir damit nicht das Wort Jesu konkretisieren würden: „Die ersten werden die letzten sein und die letzten die ersten“.

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