Mobilität - Beweglichkeit
Georg Plank

Mobilität – Beweglichkeit

Überdurchschnittlich zugenommen haben in den letzten Jahrzehnten Formen der Mobilität, sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Auch diese Entwicklung stellt eine große Belastung für den Haushalt Erde dar.

Es stellen sich insbesondere folgende Fragen: Ist eine Entkoppelung des Verkehrswachstums vom Wirtschaftswachstum anzustreben und möglich? Wie können die negativen ökologischen Auswirkungen des Verkehrs vermindert werden? Und wie kann eine bessere Abstimmung zwischen Verkehr und Siedlungsentwicklung gefördert werden?

Ich habe zwar das Glück, privat so zu wohnen, dass ich fast alle Wege per Fahrrad, zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen kann, beruflich schaut mein ökologischer Fußabdruck bezüglich Verkehr leider nicht so gut aus. Gelindert hat dieses Problem die Tatsache, dass seit der Pandemie immer mehr Seminare, Coachings und Besprechungen online durchgeführt werden.

Welche Analogien lassen sich zu diesem Thema für Kirchen entdecken?

„Church is not a building or an institution, it´s a movement!”, betont Father Michael White von unserer Partnerpfarre in Baltimore immer wieder. Jesus selbst hat seinen Jünger:innen einen Mobilitätsauftrag gegeben: Geht hinaus in alle Welt!

In seiner Predigt bei der Synodenabschlussmesse im Oktober 2024 ließ sich der am Ostermontag verstorbene Papst Franziskus von der Heilung des blinden Bartimäus inspirieren und sagt: „Wie wir wissen, kann man nicht sitzen bleiben, wenn man wirklich leben will: Leben bedeutet immer, sich bewegen, aufbrechen, träumen, planen, sich öffnen für die Zukunft.“ Und tatsächlich bewirkt das Handeln Jesu immer wieder neue Beweglichkeit – im äußeren und im inneren Verständnis.

Der Papst weiter: „Angesichts der Herausforderungen unserer Zeit, der Dringlichkeit der Evangelisierung und der vielen Wunden, die die Menschheit plagen, Brüder und Schwestern, können wir nicht sitzen bleiben. Wir können nicht sitzen bleiben. Eine sitzende Kirche, die sich, ohne es zu bemerken, aus dem Leben zurückzieht und sich selbst an die Ränder der Wirklichkeit verbannt, ist eine Kirche, die Gefahr läuft, in Blindheit zu verharren und sich in ihrem eigenen Elend einzurichten.“

Mir fällt dazu ein, dass Null-Bewegung auch physikalisch der absolute Null- und Kältepunkt ist, wenn selbst atomare Elemente stillstehen. Biologisch kennzeichnet jeglicher Stillstand in den Zellen den Eintritt des Todes.

Innere Beweglichkeit gilt als Voraussetzung für Lernprozesse. Sie signalisiert die Bereitschaft, vom Anderen zu lernen, seien es Personen, Kulturen oder Glaubens- und Weltverständnisse. Diese Haltung ist auch in der Genese biblischer Bücher spürbar, sie durchdringt die ersten Jahrhunderte der Kirche und äußert sich auch in der Idee, aus allen Gegenden anzureisen und sich zu versammeln, um die großen Fragen gemeinsam zu beraten. Ohne diese Synoden und Konzilien wäre es nicht möglich gewesen, dass sich trotz aller Unterschiede so etwas wie die EINE, HEILIGE, KATHOLISCHE und APOSTOLISCHE Kirche entwickelt, die – wie wir Gott sei Dank heute verstehen – nicht nur in der westlichen oder römisch-katholischen Variante lebt.

Wie weit darf und kann Vielfalt gehen? Wo sind die Grenzen der Beweglichkeit und der Offenheit für Neues? Wann ist identitätsstiftende Einheit gefährdet, und wo droht zentralistisch-autoritäre Einheitlichkeit?

Bei aller Metaphorik hat auch körperliche Beweglichkeit eine große, oft spiritualistisch abgewertete Bedeutung. Wer sich auf den Weg macht, mit der Kraft der eigenen Füße, im ursprünglich vom Schöpfer zugedachten Tempo, dessen Herz und Hirn fangen an, anders und tiefer wahrzunehmen. Diese geistige Weisheit betrifft nicht nur das wieder en vogue gewordene Pilgern, sondern auch den ganz normalen Alltag. Das erzählen Menschen, die statt 10 Minuten mit der U-Bahn eine Stunde zu Fuß zur Arbeit gehen oder statt mit dem Auto per Fahrrad in die Metropole pendeln. Sich selbst „autonom“ bewegen und nicht transportiert werden, das kann einen großen Unterschied machen – nicht nur individuell, sondern auch für Gruppen und sogar Arbeitsteams! Probieren Sie einmal, manche Besprechung statt in Form einer Sitzung als Wanderung zu gestalten! Oder statt einer mehrtägigen Konferenz dringende Themen in ein bewegendes Setting zu versetzen. Ich erinnere mich zum Beispiel an Seminare in Form einer Radtour, einer Kanu-Expedition oder einer Wanderung.

Nicht zuletzt entdecken viele, dass in einer Zeit des übermäßigen Sitzens und der überbordenden digitalen Kommunikation körperliche Betätigung in Form von Sport mehr ist als rein körperliches Fitnesstraining.

Allerdings: Auch bei diesem Aspekt kippt das an und für sich Gute durch Übertreibung ins Negative (Wertequadrat)! Zu viel Sport, aber auch zu viele Zusammenkünfte oder rastlose Diskussionen ohne den Gegenpol der Stille, der „solitude“ und der guten, alten Muße können auch schaden.

Gerade Erfahrungen der Zeitverdichtung führen zu einem grundsätzlicheren Nachdenken über Freiräume in Gesellschaft und Wissenschaft, über Potentiale für Kreativität und Innovation, die sie freisetzen können, und über diejenigen anthropologischen Grundfragen, die in dem durch Muße erfahrenen Spannungsverhältnis zwischen Produktivität und Freiheit sichtbar werden. Ein wesentliches Kennzeichen von Muße ist dabei ihr transgressiver Charakter. Muße überschreitet auf spannungsreiche Art und Weise Gegensätze wie Arbeit und Freizeit, Beschleunigung und Entschleunigung, Tätigkeit und Untätigkeit. Die für Muße charakteristischen Freiheitserfahrungen bleiben deshalb nicht isoliert und auf die Zeiten der Muße beschränkt, sondern können auf den Alltag zurückwirken.

Innerhalb der traditionellen und modernen Mystik wird das mit Muße Gemeinte oft als „in Gott ruhen“, als Einheit mit dem göttlichen Prinzip oder als Verbundenheit des Individuums mit dem Ganzen beschrieben. Menschen wie Franz und Klara von Assisi, Teresa von Avila oder Dietrich Bonhoeffer sind vielen bekannt und können für die eigene Praxis von Muße inspirierend wirken.

Diese Spannung zwischen Bewegung und Innehalten täglich zu üben, gelingt auch mit ganz einfachen Atemübungen, die hinführen in das richtige Tempo und einen heilvollen Rhythmus.

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Gründer Georg Plank veröffentlicht wöchentlich Impulse für mehr Innovationen in christlichem Spirit und freut sich über zahlreiches Feedback. In Zukunft planen wir weitere Blogs durch unsere Referenten und Ecclesiopreneure.

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Ein Kommentar
  1. Zu „Mobilität – Beweglichkeit“
    Vielen Dank für den vielschichtigen (von Papstaussagen über Biologie bis Praxis) Blog!

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