Pastoralinnovation Bonustext
Georg Plank

Lernen von evangelikalen Kirchen?

Das Thema Kirchenmusik bietet eine Steilvorlage für den aus meiner Sicht völlig unzureichenden Umgang verfasster Kirchen mit Freikirchen und evangelikalen oder pfingstlerischen Phänomenen. Ich teile die Einschätzung des ehemaligen Vatikankorrespondenten John L. Allen in seinem Buch „Das neue Gesicht der Kirche“, der bereits 2012 Formen von evangelikalem Katholizismus als einen von zehn Zukunftstrends definiert. Es wäre spannend, seine aktuelle Einschätzung angesichts der gerade in diesem Bereich neuen Akzente von Papst Franziskus zu hören. Denn während sich der „evangelikale Katholizismus“ zu Zeiten eines Johannes Paul II und Benedikt XVI primär als Gegenbewegung zu einem liberalen Katholizismus im Kielwasser des Zweiten Vatikanischen Konzils positioniert hatte, geht der Jesuit auf dem Papstthron einen völlig anderen Weg. Er ist mit evangelikalen Freikirchen in Kontakt, er zählt evangelikale Pastoren (meines Wissens leider keine Frauen) zu seinen Freunden; und er ist erstmals in der Kirchengeschichte bei evangelikalen Kongressen mit Videobotschaften präsent.

Das alles wird in Europa allerdings weniger stark wahrgenommen als in Lateinamerika, wo Millionen von Katholik:innen zu evangelikalen Kirchen gewechselt sind. Oder in Nordamerika, wo aufgrund der historischen religiösen Pluralität immer schon stärkere konfessionelle Wanderungsbewegungen herrschten. In den USA zum Beispiel sind etwa ein Drittel aller getauften Katholik:innen bei Freikirchen und evangelikalen Kirchen aktiv. Viele begründen das damit, dass sie erst in diesen Kirchen zu einem persönlichen Glauben gefunden hätten, der tatsächlich Relevanz für ihr Leben hat. Genau auf diese implizite Kritik gehen Pfarrgemeinden wie die Church of the Nativity aktiv und kreativ ein. Sie überwinden Gefühle des Neids und machen Schluss mit Vorwürfen und Vorurteilen. Dagegen gehen sie in den Dialog und fragen sich permanent: Was können wir von anderen Kirchen lernen, vor allem von denen, denen es gelingt, in einer säkularen und pluralen Kultur Menschen für den Glauben und ein Leben in der Nachfolge Jesu zu begeistern? Sie tun das im vollen Bewusstsein, dass es natürlich viele kontroversielle Themen gibt, viele theologische Fragezeichen und vor allem auch viele kirchliche und politische Praktiken, die aus katholischer Perspektive kritisiert werden müssen. Aber ist diese Haltung nicht kennzeichnend für Innovator:innen? Sie lernen eben bewusst nicht nur von Gleichgesinnten, sondern „im Kontrast“, also immer auch von „den anderen“ und Andersdenkenden.

Tatsache ist, dass viele auch hochrangige katholische Führungskräfte gegenüber anderen Kirchen und vor allem gegenüber Freikirchen tendenziell in einer Haltung der Abwehr und Distanz agieren, mit Ausnahme von Papst Franziskus. Er beweist auch in diesem Bereich eine unverblümte, nahezu naive und vertrauensvolle Haltung der Offenheit, des Dialogs und der Begegnung.

Bei seinem USA-Besuch 2015 hatte er sogar Rick Warren eingeladen, ihn zu begleiten. Warren ist Gründer der Saddleback Church, einer Megachurch in Kalifornien, die viele Kirchen in ihren Erneuerungsprozessen inspiriert. Bei dieser Gelegenheit, zwei Monate vor der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten, hielt Franziskus als erster Papst überhaupt eine prophetische Rede vor beiden Kammern des US-Kongresses. Er warnte vor den sich abzeichnenden populistischen Entwicklungen in der US-Politik, outete sich als Kind von Migrant:innen und pries namentlich vier durchaus nicht unumstrittene Amerikaner:innen als geistliche Vorbilder: Zuerst den ersten republikanischen Präsidenten Abraham Lincoln, der 150 Jahr zuvor kurz vor dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs an einem Karfreitag von einem Fanatiker ermordet worden war. Dann den Baptistenpastor Martin Luther King, der 1968 für seinen friedlichen Kampf gegen Rassentrennung und für Bürgerrechte für alle ebenfalls mit seinem Leben bezahlte. Weiters den Trappisten und Mystiker Thomas Merton, der im Gethsemanikloster in Kentucky als Priester und Schriftsteller Brücken zum Buddhismus baute und sich auch politisch im Protest gegen die atomare Aufrüstung, im Einsatz für die Gleichstellung der Schwarzen und gegen den Vietnam-Krieg engagierte. Und schließlich die radikale christliche Sozialistin und Pazifistin Dorothy Day, die als überzeugte Frauenrechtlerin und Pazifistin mehrere Male inhaftiert wurde, weil sie politische Entwicklungen nicht mit ihrem Gewissen und ihrem Glauben vereinbaren konnte. Bis heute sehe ich das Bild des Papstes bei seiner Rede, „zufällig“ flankiert von zwei Katholiken, dem damaligen Vizepräsidenten Joe Biden und John Boehner, dem Vorsitzenden des Repräsentantenhauses. Im Bewusstsein, dass er dafür nicht nur Applaus bekommen würde, setzte er sich höflich, aber unerschütterlich für eine humane Flüchtlingspolitik, den kühnen Kampf für eine nachhaltige Umweltpolitik und die weltweite Abschaffung der Todesstrafe ein. NTV berichtete mit der Schlagzeile: „Mit sanften Worten haut Franziskus dem US-Kongress seine Vorstellungen von guter Politik um die Ohren. Er macht das so gut, dass selbst Republikaner weinen müssen.“

Zurück zu Rick Warren: Er ist durch seine Bücher „The Purpose Driven Church“ und „The Purpose Driven Life“ zwar auch vielen deutschsprachigen Leser:innen ein Begriff, auf häufige Nachfrage musste ich aber mit Erstaunen feststellen, dass er unter Theolog:innen nahezu unbekannt ist. Ganz anders Papst Franziskus. Nach dem Pastoralbesuch in den USA lud er Warren als Beobachter und Berater zur Familiensynode in den Vatikan ein. Ob die deutschsprachige Kirchenwelt sich an solchen Beispielen nicht ein Vorbild nehmen könnte?

Pastoralinnovation - das Buch

"Ich habe dieses Buch für alle geschrieben, die Kirche an alten und neuen Orten innovieren wollen - mit vielen konkreten Beispielen, erhellenden Hintergründen und überraschenden biblischen Inspirationen - in leicht verständlicher Sprache und nicht ohne Humor! Geeignet für haupt- und ehrenamtliche Engagierte, für alle Interessierten an christlich inspirierter Innovation und für alle, die als distanzierte Kritiker:innen Interesse daran haben, dass Kirchen die Gesellschaft glaubwürdig und positiv mitgestalten." - Georg Plank

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