Sterben lernen
Georg Plank

Schlüssel Nr. 10: Sterben lernen

Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter (1976 – 1980) kam aus einer sehr frommen baptistischen Familie und war selbst jahrzehntelang kirchlich aktiv. Im Jahr 2000 trat er jedoch wegen der Diskriminierung von Frauen aus der Southern Baptist Convention aus. Fast 100 Jahre alt, hatte er viele gewaltige gesellschaftliche Umbrüche miterlebt und auch mitgestaltet. Vor allem die Zeit der Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King bewog bei ihm ein fundamentales Umdenken in Bezug auf Rassentrennung, Menschenrechte und Demokratie.

Im Gegensatz zu ihm tun sich viele konservative Menschen schwer mit Veränderungen. Sie werten sie einseitig als Bedrohung geliebter Traditionen. Sie wollen nicht wahrhaben, wenn sich etwas an und für sich Gutes überlebt hat und es Zeit zum Loslassen ist.

Alles hat seine Zeit. Diese biblische Weisheit ist eine wichtige Richtschnur auch für die gewaltigen Umbruchprozesse in der deutschsprachigen Kirchenwelt. Während jahrzehntelang aus dem Reichtum des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Wirtschaftsaufschwungs geschöpft werden konnte, befindet sie sich seit langem in einer Abwärtsphase. Klassische kirchliche Handlungsfelder wie Gemeinde oder Bewegungen verzeichnen massiven Rückgänge. Daneben gibt es Beispiele wie kirchliche Kitas und Schulen, Ordenskrankenhäuser oder Einrichtungen der Caritas und der Diakonie, die quantitativ wachsen und teilweise konzernartige Strukturen neben den Kirchen entwickelt haben.

Die Umstrukturierungsprozesse in den Bistümern und Landeskirchen sind tendenziell vor allem davon geprägt, betriebswirtschaftlich mit den veränderten Zahlen umzugehen. Man managt sozusagen den Rückgang. Reicht das?

Ausnahmen sind zum Beispiel die regio-lokale Kirchenentwicklung, neue Modelle von Citypastoral oder auch manche neuen geistlichen Aufbrüche, die unbekümmert neue Allianzen eingehen, Tabus brechen und oft einseitig diffamiert werden. Doch wer kann erklären, warum eine Mehrkonferenz des Gebetshauses Augsburg oder ein Pfingsttreffen von Loretto Tausende Jugendliche und junge Erwachsene begeistert? Wer spricht mit ihnen und erfährt, wie sie ihre Lebensentwürfe und Lebenspraxis an Jesus ausrichten wollen?

In Charlotte in North Carolina wurde in den 90er Jahren statt einer Megachurch eine der ersten Multisite-Gemeinden gegründet, die Mecklenburg Community Church, eine klassisch US-evangelikale Kirche. Sie expandierte rasch und wirkte lange Zeit an vier physischen Orten, vergleichbar mit unseren Pfarrgemeinden, um näher bei den Menschen zu sein. 2018 wurden drei dieser Orte ohne Not wieder geschlossen. Rund um Charlotte wurde einerseits ein neuer Autobahnring fertiggestellt, sodass sich die Fahrzeit zur Hauptkirche auf ein Drittel reduziert hatte. Noch entscheidender war, dass sich das Kommunikationsverhalten vor allem junger Menschen so massiv verändert hatte, dass der Status quo quasi sterben sollte. Das Leitungsteam erkannte, dass sich ihre Kirche radikal an der Lebensrealität von „digital natives“ orientieren muss, um nicht den Anschluss an die kommenden Generationen und damit an die Zukunft zu verlieren. Klingt vertraut, oder?

Wichtig im Blick auf die Restrukturierungsprozesse unserer großen verfassten Kirchen: Am Beginn stand bei der „Meck“ eine innere Umkehr der Führungskräfte, verbunden mit der Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Diese mussten eingestehen, zu wenig und zu oberflächlich über die neuen Wirklichkeiten Bescheid zu wissen. Nur durch achtsame Wahrnehmung und vorurteilsfreien Dialog mit jungen Menschen hatten sie eine Chance, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Sie erkannten, dass ihre Meinung über das Leben junger Menschen nur so von Vorurteilen und falschen Annahmen strotzte. Schon kurze Zeit nach dem radikalen Schnitt haben die messbaren Wirkungen dieses Lernprozesses sämtliche Prognosen und Erwartungen weit übertroffen. Heute lebt die „Meck“ auf vorbildhafte Weise „hybride Kirche“: physisch und online so kombiniert, dass die jeweiligen Vorteile und Qualitäten wirksam werden à la Taylor Swift.

Sterben lernen – das ist der Schlüssel Nummer 10.

 

Foto: Reise „Die Vielfalt des Omans erleben“ mit Weltweitwandern.

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