Zeige deine Wunde

Es gibt nur wenige Kunstwerke, die mich so berührt haben wie das Werk von Joseph Beuys, „Zeige deine Wunde“ aus dem Jahr 1975. Es befindet sich im Lenbachhaus in München, hat beim Ankauf einen riesigen Skandal ausgelöst und regt immer noch auf. Man sieht in einem großen klinisch anmutenden Raum zwei Leichenbahren (Betten?) aus der Pathologie, darüber zwei Kästen aus verzinktem Eisenblech mit Glasscheiben, die von innen mit Fett bestrichen sind. Unter den Betten sieht man zwei Behälter mit Fieberthermometer und Reagenzglas. An der Wand darüber hängen zwei schwarze Schultafeln, die von Beuys mit Kreide beschriftet wurden: „Zeige deine Wunde“. Links daneben lehnen zwei geschmiedete Werkzeuge (Schepser) an der Wand …

Nach dem Ankauf wurde in der Boulevardpresse über diesen „teuersten Sperrmüll aller Zeiten“ heftig diskutiert. Scheinbar nichts wert – und doch berührt die Installation. Das Thema ist die Abwesenheit des Menschen, kein Verwundeter, kein Toter. Die archaische Apparatur ist hergerichtet, aber die Masse ist in eine heile, cleane Welt geflüchtet.

Joseph Beuys hat in den 70er Jahren das Thema der Verwundbarkeit wieder in den Kunstdiskurs zurückgebracht, auch in die öffentliche Debatte.

Impulsfrage: Wo bin ich besonders verwundbar? Macht mich diese Verwundbarkeit neu lebendig?

Quelle: „Dein Herz ist gefragt: Spirituelle Orientierung in nervöser Zeit“ Seite 40, Herder Verlag, 2. Auflage 2023 von Bischof Hermann Glettler